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Der Steirer Christian Schiester hat sich seinen Lebenstraum erfüllt und ist 243 Kilometer durch die Wüste gelaufen. Mit einer Zeit von 24 Stunden, 47 Minuten und 35 Sekunden belegte er beim Marathon des Sables, der härtesten Laufveranstaltung der Welt, Platz zwölf.

Der Steirer Christian Schiester hat sich seinen Lebenstraum erfüllt und ist 243 Kilometer durch die Wüste gelaufen. Mit einer Zeit von 24 Stunden, 47 Minuten und 35 Sekunden belegte er beim Marathon des Sables, der härtesten Laufveranstaltung der Welt, Platz zwölf.

Ein Abenteuerbericht:

4. April Ouarzazarte, Hotel Gazelle, das Tor zur westlichen Sahara – es ist vier Uhr früh in der Nacht vor dem Aufbruch in die Wüste. Christian Schiesters vorletzte Nacht in der Zivilisation. Der 35-jährige Steirer schreckt aus dem Schlaf, greift hinter sich, tastet nach seinem Rucksack. Er fährt hoch – er ist in Gedanken schon unterwegs. Der Geist ist dem Körper einen Schritt voraus, Schiester brennt nach 7.000 Kilometern in neun Trainingsmonaten darauf, endlich den Traum seines Läufer-Lebens starten zu können. Nur noch zwei Tage …

Startschuss zum großen Abenteuer

6. April, Daya im Nordosten der marokkanischen Sahara. Die ersten beiden Nächte im Zeltlager haben die Teilnehmer am Marathon des Sables hinter sich, der Temperaturschock von bis zu 50 Grad am Tag und Temperaturen um den Gefrierpunkt in der Nacht ist überstanden. Um 09.00 Uhr geht’s los. Während die 677 Teilnehmer des Marathon des Sables am Start zappeln wie hoch gezüchtete Rennpferde, lassen sich die frei gelassenen Friedenstauben Zeit – und flattern erst verschreckt in die Luft, als der Hubschrauber mit den Fotografen abhebt. Dann fällt der Startschuss. Christian Schiesters erste Schritte im Lauftempo in der Wüste – mit dem gesamten Gepäck und der Verpflegung für die kommende Woche auf dem Rücken, insgesamt rund elf Kilo.

Die Entdeckung des Enten-Stils

Schiester verfällt sofort in seine auf Asphalt gewohnte, rollende Laufbewegung und versinkt in der ersten Düne bis über beide Knöchel im Sand. „Das konnte ich bei meinem Training im Schnee einfach nicht simulieren.“ Ein kurzer Schreck – und das Erstaunen, dass der neben ihm laufende ältere Mann überhaupt nicht versinkt. Schiester: „Es war Marco Olmo, ein 54-jähriger Italiener, der im Vorjahr beim Marathon des Sables unter den Top Ten war.“ Der Steirer beobachtet den Italiener und beginnt, dessen Laufstil zu kopieren, „ein richtiges Watscheln – schaut aus wie mit Plattfüßen, ist aber die perfekte Wüsten-Technik“. Schiester watschelt auf der ersten Etappe über 25 Kilomter von Daya nach Erg Chebbi auf Platz 17. Er hat sein Ziel, die Top Ten, bereits in Sichtweite.

Zerrung, Durchfall und der erste Gedanke ans Aufgeben

Doch bereits am Abend schlägt das Leiden zu. Plötzlich macht sich eine alte Zerrung in der Kniekehle wieder bemerkbar, und die ungewohnte Astronautennahrung, auf einem Mini-Kocher selbst zubereitet, schlägt Schiester auf den Magen: Durchfall. „Sollte mein Lebenstraum vorzeitig platzen? Ich denke sogar ans Aufgeben“, protokolliert der schlaf- und hoffnungslose Steirer um zwei Uhr morgens in sein Tagebuch, um zehn Stunden un 34 Kilometer später als Vierzehnter das Etappenziel in Erg Znaigui zu erreichen – „quietschvergnügt“, wie er diesmal notiert. Vor allem das Bergab-Bergauf der Dünen kommt dem mehrfachen steirischen Meister im Berglauf entgegen: „Wo schon viele gegangen sind, bin ich noch immer gelaufen.“

Vier Kilometer „Fleißaufgabe“

Auf dem dritten Teilstück lernt Schiester erstmals die Härten des Reglements kennen. Der Steirer lässt beim zweiten Checkpoint auf einem Salzsee bei Kilometer 22 eine seiner Red-Bull-Trinkflaschen stehen. Da das verschärfte Reglement für dieses Vergehen eine Zeitstrafe von einer Stunde vorsieht, dreht Schiester etwa zwei Kilometer später um, läuft zurück („Ich hab mir gedacht: du bist ein fester Trottel!“), holt die Flasche und wird am heißesten Tag des Rennens bei Temperaturen von 49,9 Grad trotz des Umwegs Siebzehnter! Anstatt 38 ist er 42 Kilometer gelaufen – in 3:46:28 Stunden. Im Gesamtklassement verbessert sich der Steirer weiter. Am Abend des 8. April 2003 steht er auf Rang 13.

Die Nacht der stummen Leiden

„Ich bin das beste Rennen meines Lebens und durch die Hölle in den Himmel gelaufen“ – Schiesters Tagebuch-Eintrag vom 9. April spricht Bände. Der Mann aus Mautern bei Leoben wird auf dem vierten Teilstück über 82 km Achter und katapultiert sich im Gesamtklassement auf Rang neun. 82 Kilometer in neun Stunden und 18 Minuten; 82 Kilometer Gegenwind; über schier unendlich scheinende Salzseen; Dünen; Felsabbrüche; bei sengender Hitze – und erstmals bei diesem Marathon des Sables auch durch die Kälte und nur durch eine Stirnlampe erhellte Finsternis der Wüstennacht. „Was sich auf den letzten Kilometern im Finstern abgespielt hat, war Wahnsinn. Die drei Stunden vor uns Top-Läufern gestarteten Hobbyläufer und Geher waren schwer angeschlagen“, erinnert sich Schiester. „Einige sind getaumelt, haben vor sich hinsinniert und leise gesungen. Einige sind einfach da gestanden und haben in die Dunkelheit gestarrt.“

Ein steirischer und ein spanischer Held

Und plötzlich liegt einer der Läufer vor Schiester im Sand – bewusstlos. „Mir hat’s die Ganslhaut aufgezogen.“ Der Steirer denkt keine Sekunde nach, bleibt stehen, leistet erste Hilfe. „Ich hab ihn in die Seitenlage gebracht, damit er seine Zunge nicht verschluckt, und um Hilfe gerufen. Aber keiner hat mich gehört, jeder war zu sehr mit seinem eigenen Leiden beschäftigt.“ Auch Schiester Leuchtrakete – ein Teil seiner Pflichtausrüstung – funktioniert nicht. Erst Minuten später bleibt ein Spanier stehen und hilft – und schickt Schiester wieder in die Nacht der Läufer zurück: „du bist einer der Schnellen. Schau, dass du ins Ziel kommst. Der Spanier wird später bei der Siegerehrung für seinen Rettungsdienst ausgezeichnet.

„Ich habe mich gefühlt, als hätte ich noch nie etwas getrunken“

Der Monster-Etappe, der vierten von sechs Teilstücken, folgt ein Ruhetag. Aber dann schlägt die Wüste zu. Ohne Erbarmen. Vom wiederkehrenden Durchfall ausgelaugt, schleppt sich Schiester auf der vorletzten Etappe über 42 Kilometer als 32. ins Ziel. „Ich hab mich gefühlt, als hätte ich noch nie etwas getrunken oder gegessen.“ Schiester beendet die Etappe nur, „weil mein Geist stärker war als mein Körper, weil der Kopf den Schmerz besiegt hat“. Und weiter: „Was ich auf dieser Etappe erlebt habe, werde ich nie in meinem Leben vergessen.“ Auf allen vieren krabbelt der Steirer an diesem Nachmittag in sein Zelt, binnen Minuten fällt er in einen tiefen Schlaf.

Tränen für den Lebenstraum

Körperlich geht Schiester schwer angeschlagen in die letzte Etappe – geistig ist er aber nach den überstandenen Qualen des Vortags in sensationeller Verfassung: „Auch wenn es grotesk klingt: Ich fühle mich stärker denn je. Ich weiß jetzt: Egal wie schlecht’s mir geht – aufgeben würde ich nie.“

Über 22 Kilometer führt die letzte Etappe von Tizi N’Izelguene nach Tazzarine. Zu Beginn stakst er durch die Wüste „wie Pinocchio“, sagt er. Jeder Schritt tut weh. Aber Schiester kämpft sich ins Ziel. Nach 243 Kilometern ist der Marathon des Sables geschafft, Schiesters läuferischer Lebenstraum erfüllt. „Ich habe das Stehenbleiben noch nie so genossen wie in Tazzarine.“

Christian Schiester beendet die letzte Etappe auf Platz 27 und wird im Gesamtklassement Zwölfter – aber was viel mehr wiegt, sind die Emotionen, die ihn in diesem Moment erfüllen. Schiester sinkt im Ziel zu Boden und weint, denkt an seinen bei einer Skitour ums Leben gekommenen Freund Franz Gruber, mit dem er ursprünglich den Marathon des Sables aus Spaß und nicht als Top-Läufer bestreiten wollte. Er denkt an seinen trainingstechnischen Mentor Hubert Millonig, der wieder einmal Recht behielt. „Der Hubert ist ein Wahnsinn. Er hat gesagt, wenn ich auf jeder der sechs Etappen eine Stunde aufreiß’, darf ich zufrieden sein.“ Schiesters Rückstand auf den marokkanischen Sieger Mohamad Ahansal beträgt fünf Stunden, 51 Minuten und 27 Sekunden.

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